Stieglitz in der Hemlocktanne

Mein Blick in die große Tanne, die direkt vor dem Küchenfenster steht. Ob sie heute wieder da sind und von den Zapfen fressen? Nur sehr unregelmäßig kommen die kleinen bunten Stieglitze in die große Tanne. Besonders an sehr kalten Tagen im Herbst und Winter kann ich die Stieglitze in meinem Garten beobachten, aber eine Garantie ist das leider nicht. Viele Stunden habe ich schon auf die Vögel gewartet. In der Tanne (es handelt sich um eine kanadische Hemlocktanne) kann ich oft mehrere Vögel gleichzeitig beobachten. Manchmal kann ich sogar, während die Vögel in der Tanne zugange sind, das Fenster öffnen und meine Kamera aufbauen. In aller Regel bin ich aber vor den Vögeln da. Es erfüllt mich mit großer Freude die Vögel, die mit ihren 12 cm Körpergröße zu den kleineren Finkenvögeln gehören, beim Fressen zu beobachten:

Stieglitze suchen in den Zapfen der Hemlocktanne nach Nahrung

Sehr geschickt holen sie sich mit dem Schnabel einen der herunterhängenden Zapfen, drehen ihn um und fixieren den Zapfen dann mit den langen Krallen ihrer Füße. Meistens stehen die Stieglitze dabei auf einem Ast und picken mit ihrem Schnabel in dem Zapfen, um die winzig kleinen Samen herauszuholen.

Stieglitz von hinten in der Hemlocktanne

In der Hemlocktanne sind die kleinen Vögel leicht zu entdecken: Ihre leuchtend rote Gesichtsmaske hebt sich deutlich von dem schwarz-weiß gefärbten Kopf ab.

Stieglitz im Abflug

Die schwarzen Flügel sind von einem gelben Streifen durchzogen, der besonders im Flug sehr auffällig ist. Sehr markant sind auch die schwarz-weißen Flecken auf den Flügeln und auf den oberen Schwanzfedern und der weiße Bürzel. Der übrige Vogelkörper ist bräunlich-weiß gefärbt.
Mit ihrem auffälligen Aussehen gehören Stieglitze zu den bekanntesten Singvögeln in Deutschlands. Sie leben das Jahr über bei uns. Im Spätsommer und Herbst sind außer den Baumsamen die Samen von Disteln, Karden und Kletten eine wichtige Nahrungsquelle für die Stieglitze. Deshalb werden die Vögel im Volksmund auch als Distelfinken bezeichnet.

Stieglitz an der Wilder Karde

Manchmal, aber leider sehr selten, kann ich in diesen kalten Wintertagen Stieglitze vom Haus aus an den Wilden Karden in meinem Garten beobachten. Hier ist es aber deutlich schwerer die Vögel zu fotografieren. Zum einen sind die Blütenköpfe der Karden sehr hoch, sie befinden sich in etwa zwei Metern Höhe, zum anderen muss ich vor den Vögeln da sein, denn ein Annähern funktioniert hier nicht. Mehrere Tage des Wartens in meinem Zelt liegen hinter mir, als ich endlich Stieglitze an der Wilden Karde beobachten und fotografieren kann:

Stieglitz an wankendem Stängel der Wilden Karde

Lautlos ist der Vogel auf einmal da. Es ist ein einzelner Vogel, der von Pflanze zu Pflanze fliegt und die Samen aus den Blütenköpfen herauspickt. Er lässt sich weder von den Warnrufen der Amseln und Meisen noch von dem sich im Wind wankenden Stängeln stören.

Stieglitz sitzt an der Wilden Karde und pickt in den Blütenkopf hinein

Der Stieglitz bleibt mit seinen langen Krallen an den Stängeln festgekrallt sitzen und wartet regungslos ab, bis die Gefahr vorbei ist. Dann pickt er weiter mit seinem Schnabel in die Blütenköpfe hinein. In jeder „Kammer“ sucht der Vogel nach den nahrhaften Samen.

Blütenstand der Wilden Karde im Herbst und Sommer im Vergleich

Bei genauerer Betrachtung des braunen Blütenkopfes (linkes Foto) kann ich in den einzelnen Kammern die ehemaligen Blüten erkennen (Bild in der Mitte). Ganz tief im Inneren sitzt, gut geschützt und von Hüllspelzen umgeben, der Samen, der sich in den bestäubten Einzelblüten gebildet hat. Das rechte Bild zeigt einen Blütenkopf im Sommer: Der eiförmige Blütenkopf besteht aus Einzelblüten, die sich in Ringen nach oben und unten ausbreiten.

Stieglitz sucht im Schnee an der Wilden Karde nach Nahrung

Mit zahlreichen Widerhaken versucht sich die Pflanze gegen den Fraß der Vögel zu schützen. Denn nur aus den Samen, die nicht gefressen werden, können neue Pflanzen wachsen. Durch die vielen kleinen Haken an den Fruchtständen und auch an der gesamten Pflanze bleiben die Früchte an Tieren (wie z.B. dem Stieglitz) hängen und werden durch die Bewegung herausgeschleudert. Diese Methode der Samenverbreitung ist durchaus erfolgreich: Aus den ehemals fünf Pflanzen, die ich gepflanzt habe, sind innerhalb weniger Jahre weit über 20 Pflanzen geworden.

Stieglitz pickt an der Wilden Karde Samen heraus

Um an die nahrhaften Samen zu kommen, gehen die Stieglitze sehr systematisch vor. Lange bleiben sie an einem einzelnen Blütenkopf sitzen, stecken ihren spitzen Schnabel in nahezu jede „Kammer“ hinein. Manchmal beißen die Stieglitze in den Blütenkopf hinein und schütteln daran. Störende Pflanzenteile, wie z.B. die langen, bogenförmig nach oben ragenden Hüllblätter, werden umgeknickt. Gekonnt trennen die Vögel die schützenden Hüllspelzen, die dann aus ihren Schnäbeln herausfallen, vom Samen.

Stieglitz hängt rücklings am Blütenkopf

Ein wenig akrobatisch wird es, wenn die Stieglitze im unteren Teil der Blütenköpfe fressen. Dann hängen die Vögel oft rücklings an den Wilden Karden. Geschickt arbeiten sie mit Schnabel, Füßen und dem Schwanz, um an die Samen zu kommen. Eine Leistung, die mich zum Staunen bringt.

Stieglitze im Sommer in einem bunten Feld

Leider sind Stieglitze in ihrem Bestand sehr stark zurückgegangen. In den letzten 30 Jahren ist die Hälfte der Stieglitze verschwunden. Gründe für das Verschwinden sind laut der Naturschutzverbände die Intensivierung und der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft, die die Ackerränder mit ihrer bunten Vielfalt vernichten. Ackerränder, Brachflächen und Wegränder mit wertvollen Stauden und Wildkräutern verschwinden zunehmend aus unserer Landschaft und damit leider auch die Nahrungsgrundlage für die hübschen kleinen Stieglitze und vieler anderer Tiere. Um auf die Bedrohung dieser Vögel und den Artenverlust in unserer Landschaft aufmerksam zu machen, wurde der Stieglitz 2016 zum Vogel des Jahres gewählt. Blühstreifen und „Wilde Ecken“ in den Gärten können den kleinen Vögeln – und im Übrigen auch vielen anderen Tieren – helfen.

Stieglitz an der Wilden Karde

„Der Stieglitz überlebt nur dann, wenn wir bewusst einmal ein Stück Land unbewirtschaftet und ungespritzt lassen.“ fordert der NABU.

Im Sommer wie im Winter sind die Wilden Karden wertvolle Pflanzen, die vielen Tieren Nahrung und Lebensraum geben. Wie toll die Karden im Verlauf eines Jahres aussehen und welche Besucher sie anlocken, kannst du dir in meinem Blog "Wilde Karde: Imposant und außergewöhnlich" und in der Galerie "Wilde Karde" anschauen.

 

Quellen: Wikipedia „Wilde Karden“, Broschüre des NABU – Der Stieglitz - Vogel des Jahres 2016 Vögel in Deutschland - Übersichten zur Bestandssituation (DDA, BfN, LAG VSW)