Kraniche auf dem Weg in den Süden

Anfang Dezember: Der Zug der Kraniche in den Süden ist nun vorbei: Große Mengen der imposanten Vögel sind in ihren Überwinterungsgebieten angekommen.
In diesem Jahr habe ich sehr lange auf die Kraniche gewartet. Erst Ende Oktober 2020 konnte ich größere Trupps dieser imposanten Vögel beobachten. Meine Beobachtung, dass Kraniche später unterwegs sind als in den Jahren zuvor, ist in der Forschung schon einige Zeit bekannt: Der Vogelzug verändert sich.
Kraniche auf dem Weg in den Süden
Es ist ein faszinierendes Schauspiel, wenn die großen Vögel über unsere Region ziehen. Im Herbst sind die Kraniche auf dem Weg aus ihren Brutgebieten, die sich über riesige Bereiche des nördlichen Europas und Asiens erstreckten, in ihre Überwinterungsgebiete. Kraniche fliegen entlang schmaler Zugrouten in ihre Winterquartiere, die z.B. in Spanien und Nordafrika liegen. Jedes Jahr ziehen bis zu 250.000 Vögel (!) über Hessen, dem Bundesland, in dem ich zu Hause bin und das erfreulicherweise auf einer solchen Zugroute liegt. Oft fliegen die Vögel direkt über unser Haus. Mit ihren lauten Rufen, mit denen sich die Kraniche verständigen, sind die Zugvögel schon von Weitem zu hören.
V-Formation der Kraniche beim Zug
Im Flug strecken die Tiere den Hals weit nach vorne und die Beine lang nach hinten. Kraniche fliegen seitlich versetzt zueinander, der hintere Vogel im Windschatten des vorderen Tieres. Die Vögel halten während des Fluges diese Position genau ein, denn dadurch sparen sie Kraft. Zudem geben Verwirbelungen der Luft an den Flügelspitzen dem hinteren Vogel zusätzlich Auftrieb. Durch das versetzte Fliegen bilden die Zugvögel eine Keilformation. Man kann sie an der „1“ am Himmel erkennen.
Im Gegensatz zu den Weißstörchen, bei denen die Jungvögel ohne die Elterntiere auf ihre Reise in den Süden gehen, fliegen Kraniche im Familienverband. 
Kraniche fliegen gemeinsam mit ihrem Nachwuchs
Das zugerfahrenste Tier fliegt an der Spitze. Regelmäßig wechseln hier die Vögel, denn an vorderster Position zu fliegen kostet sehr viel Kraft. Weiter hinten fliegen Elterntiere mit ihren Jungtieren, erkennbar an der noch fehlenden schwarz-weißen Kopffärbung (im oberen Kreis auf dem Foto; im unteren Kreis ist ein Altvogel zu sehen). Durch die gemeinsame Reise lernen die Jungvögel den Zugweg und das Reiseziel kennen.

Kraniche steigen mit der Thermik auf
Manchmal löst sich die Keilformation auf, die Tiere scheinen dann planlos durcheinander zu fliegen. Was dahinter steckt, ist die Thermik: Die Vögel schrauben sich langsam in die Höhe, um dann mit der Thermik kräftesparend im Segelflug zu fliegen. So können sie die großen Entfernungen zurücklegen. Am Himmel endet das Durcheinander nach kurzer Zeit. Die Tiere haben sich wieder sortiert und fliegen weiter Richtung Süden bzw. Richtung Norden, wenn sie auf dem Rückweg aus dem Überwinterungsgebiet sind.

Kraniche suchen auf einer Wieser nach Nahrung
Besonders im Herbst (aber auch im Frühjahr) kann man an vielen Stellen in Norddeutschland ein eindrucksvolles Naturschauspiel erleben. Viele Tausend Kraniche legen hier auf ihrem langen Zugweg eine Pause ein. Sie rasten in den weiten Moorlandschaften und sammeln neue Kraft. Tagsüber suchen die Kraniche auf den abgeernteten Äckern und Wiesen nach Nahrung. Die großen Vögel haben eine hohe Fluchtdistanz, sie sind sehr aufmerksam und reagieren schon auf kleinste Störungen. Es gibt ein Sprichwort, das besagt: „Kraniche haben auf jeder Feder ein Auge“. Meine Beobachtungen und Erlebnisse bestätigen das.
Einflug der Kraniche zum Schlafplatz
Zur Nachtzeit sammeln sich die großen Vögel in Feuchtgebieten, z.B. in flachen Seen. Hier finden sie sichere Schlafplätze und es ist ein tolles Erlebnis, die Vögel bei ihrem Einflug zu den Schlafplätzen zu beobachten: Die Abenddämmerung ist dann nur noch von dem lauten Trompeten Hunderter von Vögeln erfüllt und der Himmel ist übersät mit Kranichen.

Kraniche am Schlafplatz
Am Schlafplatz drängen sich die Vögel im seichten Wasser dicht zusammen. Aus großer Entfernung sind die Kraniche hier an ihrem Schlafplatz zu sehen.


Kraniche auf dem Zug in den Süden
Nach einigen Wochen der Ruhe geht die Reise in den Süden weiter (auf dem Foto sind zwei Trupps, deren Wege sich kreuzen, zu sehen). Bei guten Wetterbedingungen fliegen die Kraniche sogar ohne Halt in ihre Überwinterungsgebiete (manchmal kann man die Vögel deshalb auch in der Nacht hören). Bei schlechtem Wetter legen sie Ruhepausen ein.
Aufgrund der Klimaerwärmung hat sich das Zugverhalten der Kraniche (und auch das vieler anderer Vögel) verändert: Die Zugzeiten haben sich verschoben: Kraniche fliegen zunehmend später in den Süden und kommen früher zurück. Einige Vögel überwintern sogar in Norddeutschland. Wissenschaftler konnten auch nachweisen, dass die Wegstrecke kürzer geworden ist.
Der Bestand an Kranichen hat dank vieler Schutzprogramme hierzulande zugenommen. Der Kranich gilt als nicht bedrohte Vogelart. Jährlich werden aber leider viele Kraniche (und auch Weißstörche und viele andere Zugvögel) in ihrem Durchzugs- und Ruhezielen getötet. Durch Jagd und Fang verlieren viele Millionen Vögel ihr Leben.

Kraniche ziehen in den Süden
Der Zug der Kraniche ist jedes Jahr wieder ein ganz besonderes Erlebnis. Großes Glück hatte ich bei diesem Foto: Ich sah die Kraniche von Weitem kommen und sie sind genau über mich geflogen! Ein wenig Sehnsucht schwingt mit, wenn ich die Tiere auf dem Zug in den Süden beobachte – besonders in diesem Jahr, wo das Reisen durch die Corona-Pandemie nicht mehr so möglich ist, wie es einmal war. Mit einer Reisegeschwindigkeit von 45-64 km pro Stunde sind die großen Vögel, die sich ständig mit lauten Rufen verständigen, leider wieder schnell verschwunden.

Gute Reise!

Kraniche beim Einflug zum Schlafplatz

Viele der Informationen über die Kraniche, die ich hier erwähnt habe, stammen aus folgenden Quellen:

Peter Berthold: Faszination Vogelzug & Vogelzug: Eine aktuelle Gesamtübersicht
Wikipedia: Artikel über Kraniche
Informationsbroschüren: „Dem Kranich auf der Spur – Ein Naturschauspiel in der Diepholzer Moorniederung“