Mönchsgrasmücke auf der Jagd nach Beeren

Anfang Oktober ist es endlich soweit – das Warten hat ein Ende: Die Beeren der Eberesche (auch als Vogelbeere bekannt) sind reif. Strahlend rot leuchten sie in der Sonne und werden von den ersten Vögeln erspäht. Von meinem Arbeitszimmer aus kann ich Mönchsgrasmücken beobachten, wie sie die Beeren fressen. Vorsichtig gehe ich in das Nachbarzimmer hinüber. Ich bin in ca. vier Metern Höhe (erster Stock unseres Hauses) und blicke von dort aus etwa sieben Metern Entfernung in den Baum hinein. Bis hinauf zur Baumkrone, die sich auf Höhe unseres Daches befindet, kann ich schauen. Das geöffnete Fenster ist durch die Gardine verdeckt. Dennoch habe ich durch einen kleinen Spalt über der Kamera einen Großteil des Baumes im Blick.

Eine Mönchsgrasmücke pickt nach den reifen Beeren der Eberesche

Dieser wundervolle Baum hängt in diesem Jahr voll mit roten, saftigen Beeren. Es ist ein Meer aus roten Farbtupfern, in das ich hineinblicke und das mir unmissverständlich zeigt, dass es Herbst geworden ist. Die Beeren haben auf die Vögel eine magische Anziehungskraft: Immer mehr Tiere kommen in dem Baum, um von den reifen, prallen Beeren zu fressen.

Eine Mönchsgrasmücke hat die Fotografin entdeckt

Beim Fotografieren bediene ich die Kamera so leise wie möglich. Die Tiere (hier eine Mönchsgrasmücke) hören das Geräusch der Kamera und blicken zielsicher in meine Richtung. Sie lassen sich aber von meiner Anwesenheit nicht stören und fressen weiter die leckeren Beeren – und so kann ich meine fotografischen Aktivitäten fortsetzen.

Eine Mönchsgrasmücke versucht mit ihrem Spitzen Schnabel die Beeren der Eberesche zu picken

Zwischen dem Ober- und Unterschnabel eingeklemmt, versuchen die Mönchsgrasmücken die Beeren abzupflücken. Dabei sind längst nicht alle Versuche erfolgreich: Noch hängen die Beeren sehr fest an den Ästen.

Jetzt beginnt die Turnstunde in dem Baum vor meinem Fenster: Die Mönchsgrasmücken vollführen regelrechte akrobatische Kunststücke, um an die Beeren zu gelangen. Ich kann verschiedene Methoden beobachten:

Große Anstrengung für die Mönchsgrasmücke

Mönchgrasmücken versuchen mit gleichzeitigem Schütteln und Ziehen die Beeren zu lösen

Einige Vögel versuchen mit gleichzeitigem Ziehen und Schütteln die Beeren zu lösen; eine große Anstrengung für die kleinen Vögel.

Eine Mönchsgrasmücke versucht von unten an den Beeren zu ziehen

Geschickt dreht sich die Mönchgrasmücke, um von unten an die Beeren zu kommen

Andere Tiere drehen ihren Körper so elegant herum, dass sie mit ihrem Kopf von unten an die Beeren kommen und ziehen von dort an ihnen. Geschickt schaffen es die Mönchsgrasmücken mit ihren vielfältigen Methoden auch die Beeren zu erreichen, die an den äußersten Spitzen des Baumes an sehr dünnen Ästen hängen. Hin und wieder kommt es auch vor, dass dem Vogel eine gepflückte Beere aus dem Schnabel herauskullert. Sie ist dann verloren, bis zum Boden fliegt der kleine Vogel nicht, immerhin hängt die nächste reife Beere ja direkt daneben. Auch wenn sich mehrere Beeren auf einmal lösen, lässt sie der Vogel fallen.

 

Wacholderdrosseln auf der Jagd nach den letzten Beeren

Unvergessen bleibt mir ein Erlebnis des vergangenen Winters: Ich befand mich direkt unter der Eberesche, als ein Schwarm Wacholderdrosseln, ca. 30 Tiere dort einfiel. Ich habe sie in einer anderen Eberesche schon eine Weile beobachtet, aber eine gefühlte Ewigkeit warten müssen, bis sie in den Baum, unter dem ich in meinem Zelt saß, gekommen sind. Nach und nach flogen die Wacholderdrosseln in den Baum, es war eine permanente Bewegung in und um den Baum vorhanden. Genauso wie ich die Vögel gesehen und beobachtet habe, haben sie jede meiner Bewegungen registriert. Bis vor wenigen Jahren waren Wacholderdrosseln (und auch andere Vögel) als Delikatesse sehr beliebt und wurden besonders bei der Nahrungssuche im Herbst gejagt. Kein Wunder, dass sie so vorsichtig sind. Letzten Winter aber, da konnte ich die Wacholderdrosseln aus wenigen Metern Entfernung sehen: Ich war ganz nah bei diesen großen eleganten Vögeln! Ein unglaublich tolles Erlebnis! Plötzlich und fast genauso schnell, wie sie gekommen waren, waren die Vögel dann aber auch wieder verschwunden – bis heute ist dieses Erlebnis einmalig geblieben. Ich habe Wacholderdrosseln nicht wieder aus solch geringer Distanz erleben können.

 

Viele verschiedene Vögel kommen in diesen sonnigen Herbsttagen in den prächtigen Baum vor meinem Fenster. Die Eberesche bietet ihnen jetzt wertvolle Nahrung. Grünfinken, Amseln, Singdrosseln und einige Stare kann ich beobachten.

Eine Amsel hat eine reife Beere erbeutet

Amseln sind extrem vorsichtig, wenn sie von den Beeren fressen. Nur selten trauen sie sich aus dem schützenden Laub des Baumes hervor. In wenigen seltenen Momenten bekomme ich sie zu Gesicht. Viele Amseln befinden sich zur Zeit noch in der Mauser (Gefiederwechsel): Sie können in dieser Zeit nur schlecht fliegen und leben deshalb sehr versteckt in und unter den dichten Büschen und Hecken.

Ein junger Grünfink hat Beeren der Eberesche gefressen

Auch Grünfinken (hier ein Jungvogel) entdecken die prächtig leuchtenden Beeren der Eberesche. Wie die Amseln bevorzugen sie Plätze weiter innen im Baum. Im Gegensatz zu den Mönchsgrasmücken schlucken sie die Beeren nicht im Ganzen herunter, sondern zermahlen sie mit ihrem kräftigen Schnabel.
Die vielen Vögel, die im Herbst die Beeren der Eberesche fressen, tragen zu ihrer Verbreitung bei, denn der Samen wird von den Vögeln wieder an anderer Stelle ausgeschieden. Auch der Baum in unserem Garten wurde von den Vögeln gepflanzt.

Mönchsgrasmücke mit großer Beere im Schnabel

In den folgenden Tagen kommen Mönchsgrasmücken immer häufiger in den Baum und ich kann einige weitere Szenen fotografieren. Darunter auch eine Besonderheit:

Mönchsgrasmücke mit ausgehängtem Unterschnabel

Mönchsgrasmücken können den Unterschnabel aushängen, wenn die Beeren sehr groß sind. Der untere Schnabel hängt beim Fressen nach unten und der Vogel kann die Beere schlucken.
Ich frage mich, wie lange ich diese kleinen, quirligen Vögel noch beobachten kann, denn Mönchsgrasmücken sind Zugvögel, die nur während des Sommers bei uns sind. Die Vögel sind mit ihrem grau gefärbten Körper recht unauffällig.

Unterschied Männchen und Weibchen bei den Mönchsgrasmücken

Männchen und Weibchen der Mönchsgrasmücken kann man an der Farbe ihrer Kopfkappe gut unterscheiden: Beim männlichen Vogel (auf dem rechten Foto) ist sie schwarz, weibliche Vögel und Jungvögel haben eine braune Kappe. Die Vögel leben versteckt in den Bäumen und Büschen, oft kann man ihren melodischen Gesang hören, selten bekommt man sie insbesondere während der Sommerzeit im dichten Blätterwerk zu Gesicht. Mönchsgrasmücken sind etwas kleiner und zierlicher als Sperlinge. In den Ästen der Bäume sind sie sehr flink und wendig unterwegs.
Ihr langer spitzer Schnabel lässt erkennen, dass Mönchsgrasmücken Insektenfresser sind. Da es im Frühjahr und im Herbst nicht genügend Insekten gibt, fressen die Vögel in dieser Zeit Nektar und Beeren. Besonders im Herbst müssen sich die Mönchsgrasmücken ein Fettdepot anfressen, um genügend Reserven für ihren langen Zug zu haben, denn viele der kleinen Singvögel fliegen bis nach Afrika. Entgegen dem Trend vieler Brutvogelarten haben Mönchsgrasmücken in ihrem Bestand sehr stark zugenommen. Sie gehören zu der vierthäufigsten Brutvogelart in Deutschland („Vögel in Deutschland“ – Übersichten über die Bestandssituation, herausgegeben vom DDA, BND).

Mönchsgrasmücke mit freundlichem Blick

Obwohl es immer mehr dieser Vögel gibt, gehört ein bisschen Glück dazu, solche Szenen wie die in der Eberesche zu beobachten und zu fotografieren. Mir wird das immer wieder bewusst, wenn ich einige Stunden lang beobachte und überhaupt keine Vögel zu Gesicht bekomme oder sie nur an solchen Stellen sitzen, an denen sie durch Äste (teilweise) verdeckt sind. Umso mehr freue ich mich, wenn die Vögel aus den vielen Tausend Beeren, die der Baum für sie parat hält, ausgerechnet die auswählen, die auch ich im Blick habe und wo ich sie beobachten und fotografieren kann. Sehr oft stehe ich in diesen Tagen hinter dem Fenster und beobachte die Vögel in der prächtigen Eberesche. Es sind faszinierende Momente, die ich hier erlebe und fotografiere. Einige weitere Fotos habe ich in der Galerie: „Herbstliche Impressionen aus der Eberesche“ zusammengestellt.

Männchen der Mönchsgrasmücke mit einer Beere im Schabel